Hanna, sag mal “Zopf”! A&C Kolumne von Andrea Jansen.

In der heutigen Kolumne von Andrea Jansen geht es um die digitale Welt, in der sich jeder entdecken lassen kann. Manche wollen das und machen sich einen Namen oder stärken jenen, den sie schon haben. Andere fliegen auf und werden ihre Geschichte nie mehr los – sie ist für immer im Netz.

Aus der Werbewoche 15/2014

Die einen wollten es so: Justin Bieber verdankt seine Karriere seiner Mutter, die Auftritte von ihm ins Netz stellte. Andere werden nicht gefragt ob sie wollen (ich wäre gerne dabei, wenn Hanna in zehn Jahren ihre Eltern zur Rede stellt – geben Sie mal “Hanna sag mal Zopf” bei YouTube ein)!

Comedians, Models oder Sänger stellen ihr Können ins Web, mit der Hoffnung, von Netz-Talentscouts entdeckt zu werden. Und die sind im englischsprachigen Raum schon lange aktiv. Mitarbeiter von der United Talent Agency beispielsweise surfen in der Hoffnung, ungeschliffene Diamanten zu finden. Spezielle Menschen und Geschichten, die sich vermarkten lassen und die sie dann direkt mit den Werbeagenturen verlinken, um sie gezielt aufzubauen. Und das bevor das breite Publikum sie entdeckt.

Davon sind wir in der Schweiz natürlich weit entfernt. Unser Output in Sachen Internetprominenz beschränkt sich noch auf den im Auto fluchenden Massimo (gepusht vom Blick und später zu Gast bei “Giacobbo/Müller”) oder auf die #selfiegate – Sekretärin aus dem Bundeshaus (deren Geschichte es übrigens sogar bis in die New York Times geschafft hat – dort wurde allerdings ausschliesslich ihre Brust verpixelt. Prioritäten müssen sein!).

Da wir Schweizer grundsätzlich argwöhnisch werden, wenn jemand aus der Masse herausragt, erstaunt es auch nicht, dass die 15 Minuten Ruhm für die Betroffenen dann vor allem negative Folgen haben: Massimo findet keinen Job mehr, und Sekretärin A. ist ihren vielleicht schon los. Es wäre ihr zu gönnen, wenn wenigstens ihre Pornos von der Aufmerksamkeit profitieren.

In der Schweiz wird man schwerlich zum Cyber-Prominenten, aber bereits bekannte Persönlichkeiten könn(t)en sich weiter profilieren. Oder genau so schnell demontieren. “Wir rasen 300 Tausend Kilometern pro Sekunde über die Datenautobahnen, (…) wissen aber noch viel zu wenig darüber, wie wir uns ausreichend vor Unfällen schützen. (…) Der grösste Feind: Ignoranz. Bis tatsächlich etwas passiert, halten wir uns häufig für unverwundbar. Auch das ist genauso wie im Strassenverkehr” schreibt Martin Hellweg in seinem Buch ‘Safe Surfer’, in dem er praktische Tipps zum Schutze der Privatsphäre im digitalen Zeitalter gibt*. “Ein unbedachter Moment kann in der heutigen digitalen Welt Leben verändern.” Geri Müller würde das bestätigen.

Einmal im Netz, immer im Netz. Obwohl es meist immer noch die klassischen Medien braucht, um die breite Öffentlichkeit darüber zu informieren. Bilder auf Facebook, Twitter oder Instagram werden ungefragt von anderen Medien weiterverwendet – das muss man sich bewusst sein. Ein emotionaler Tweet zu einem politischen Thema wird am nächsten Tag plötzlich zitiert, und vielleicht wird man ungewollt zur Galionsfigur ernannt. “Überlegen Sie sich bei Ihrem Handeln immer, ob Nutzen und Risiko in einem guten Verhältnis stehen. Ist dies nicht der Fall, lassen Sie es besser einfach sein. Das ist der beste Schutz”, so der Tipp vom Experten Hellweg.

Die phöse, phöse digitale Welt also? Am besten gar nichts mehr und mit Niemandem teilen? Im Gegenteil – wir müssen die digitale Welt, die schon längst mit unserer realen Welt verschmolzen ist,  zu unseren Gunsten ausnützen. Bekannte Persönlichkeiten einerseits, um den sonst so schwierigen direkten Kontakt zu ihrem Publikum zu pflegen. Um zu kommunizieren, auch Privates, aber eben nur das, was sie auch wollen (um vielleicht auch davon abzulenken, was sie eben lieber nicht preisgeben möchten). Und für die Werbewelt andererseits: stark digital vernetzte Persönlichkeiten scheinen als Influencer und Multiplikatoren hierzulande nur selten im Einsatz zu sein. Und wenn, dann sind Angebote nur halbherzig – als Entgelt für Posts und Tweets gibt’s Gratisjoghurts oder immer wieder gerne angeboten – “Medienpräsenz”. Klar, dass das niemanden hinter dem Ofen hervorlockt.

Präsenz im Netz ist heute ein Muss. Aber um beim Bild der digitalen Autobahnen zu bleiben – auch hier gilt “luege, lose, loufe” oder eben “überlege, abwäge, poste”. Hanna wäre dankbar.

*Hellweg, Martin: “Safe Surfer – 52 Tipps zum Schutz Ihrer Privatsphäre im digitalen Zeitalter” – www.safe-surfer.com/buch

Andrea Jansen schreibt in unregelmässigen Abständen im Namen von Andreas & Conrad Kolumnen für die Werbewoche.

Comments are closed.